Deutschlandfunk, 6. Mai 1994, Redaktion Büchermarkt
Keine Frage, daß Tennisspiel zwischen Arthur Ashe und Carl Graebner am 8. September 1968 ging nicht in die Annalen des Sports ein. Absolut nichts Aufregendes aus heutiger Sicht. Ashe schlug Graebner in vier Sätzen. 4-6, 8-6, 7-5, 6-2. Wie geschaffen für eine erstklassige Reportage wäre dagegen das Finale gewesen: Kein Amerikaner hatte seit 1955 die US-Open gewonnen, und Ashe hätte der erste Schwarze überhaupt sein können. Und doch entschied sich John McPhee, das Semi-Finale zu covern. Wer „Ebenen des Spiels" liest, weiß warum.
Die Ebenen des Spiels liegen irgendwo zwischen Gut und Böse, zwischen Demokraten und Republikanern, zwischen Helden und Schurken. Auch wenn es vordergründig nur um den existentiellen Konflikt zwischen Serve und Volley geht. Ashe und Graebner, zwei Spieler gleichen Alters, Davis-Cup-Kumpels, der Schwarze an Nummer 5, Graebner an Nummer 7 gesetzt, dazwischen das Netz, das nicht nur sportlich trennt: Es trennt unterschiedliche Stile, Hautfarben, Kulturen. Es trennt politische Meinungen. Und das alles inmitten des Gegröles von vierzehntausend Zuschauern.
23 Bücher hat John McPhee bisher geschrieben; über Orangen in Florida, die Schweizer Armee und Einsiedler in New Jersey. Ich persönlich halte "The Pine Barrens" von 1968 für sein bestes Buch. Nicht unbedingt wegen McPhee, sondern wegen der Hauptdarsteller: Ein Haufen Einsiedler, die in einem undurchdringbaren Kiefernwald in New Jersey, einem der dichtesten besiedelten Gebiete der USA, leben. McPhee ist ein Spezialist für abseitige Themen und ein Meister der Struktur: Jedes seiner Bücher hat einen dem Thema entsprechenden Aufbau.
Beispielsweise könnte eine Reportage über Tennis die kontrapunktischen Aktionen des Spiels imitieren: hin und her, von einem Spieler zum anderen, wie im Kino in einer Parallelmontage zwischen Verfolger und Verfolgten. Die Story ließe sich aber auch gradlinig konzipieren, mit dem ersten Aufschlag beginnen, dann langsam das Tempo anziehen und den Matchball als Höhepunkt servieren. McPhee entschied sich für eine Mischung aus beidem. Zuerst studierte er die Fernsehaufzeichnung des Matches, allein, dann jeweils mit den beiden Spielern. Zu jedem Ballwechsel Emotionen und Gedanken. Eine unerschöpfliche Quelle für ein Buch. Aber McPhee spielt selbst mit seinen Hauptdarstellern die Rückhand cross: Zuerst sind die Rollen, also die Stereotypen, klar verteilt. Je länger das Spiel, desto diffuser werden sie.
Natürlich ist Graebner bigott, brutal, ein Typ, der, so McPhee, aussieht wie ein „Oberstleutnant der Wehrmacht". Wie ein Leibwächter, der für einen Fernkurs im Muskelaufbau wirbt. So einer muß einfach verlieren. Tritt Richard Nixon im Fernsehen auf, dann jubelt Graebner: "Ich bin Fundamentalist. Arthur ist Junggeselle. Ich bin verheiratet und konservativ. Mich interessieren Geschäfte, der Markt und Kinderkleidung. Das macht sich im Spiel bemerkbar." Ashe über Graebner: „Er macht kaum Fehler, spielt ein stures feistes, republikanisches Tennis." Ashe ist sympathisch. Und kritisch, denn er sagt: „Wenn du in die Kirche kommst und dieses Bild eines blonden, blauäugigen Christus siehst, fragst du dich, ob er auf deiner Seite steht." McPhee kommentiert: "Der Keramik-Christus an der Wand von Gum Spring ist blond, hat aber braune Augen." Ashe träumt sogar während des Spiels immer von seinem Lieblingsessen. Fritiertes Hähnchen, Reis und Backbohnen. Seine Gegner wissen das. Sie wissen aber auch, daß er nie lange genug träumt. Auch Graebner favorisiert jeden Abend die „gleiche Kraftnahrung - einen Wodka-Martini und einen Shrimpcocktail, eine Röstkartoffel ohne Salz und Butter sowie ein Roastbeef oder Steak."
Wie immer ist McPhee, wie in all seinen anderen Büchern auch, leidenschaftlich an Details interessiert. Die Wichtigkeit der kleinen Dinge also: Daß, bevor Graebner aus einer Coca-Cola-Flasche trinkt, er vorher immer den Finger in den Flaschenhals steckt, um diesen sauber zu reiben. Graebner erkennt auch ein paar Gucci-Schuhe drei Kilometer gegen den Wind. Aber Graebner, den alle wegen seines stolzierenden Gangs für ein arrogantes Schwein halten, ist, so enthüllt McPhee, wirklich eines: Graebner ist ein Hypochonder, der wegen eines realen Rückenleidens monatelang im Korsett lebte. Und jetzt stolziert. Ashe dagegen trägt seine Geburtsurkunde in der Brieftasche mit sich herum.
Geschrieben wurden die „Ebenen des Spiels" vor fünfundzwanzig Jahren. Ein Snobismus, so etwas heute auf den deutschen Markt zu bringen. Schon deshalb, weil kein Buchhändler weiß, unter welcher Rubrik er diesen Autor einsortieren soll. Ashe ist inzwischen verstorben, und wer kennt schon Graebner. Nichts, aber auch gar nichts, ist an dieser Studie antiquiert. Was McPhee über Quotentennis, die Macht der Rückhand, und über Tennis als Charakterkampf schreibt, sollte nicht nur jeder Sportjournalist kennen. Und wie er das angeblich so vornehme Tennis zu einer ordinären Gladiatorenveranstaltung demontiert, das ist einsame Klasse. Sport als Zielen, Jagen und Schlagen, als Instinkt, der sich aus prähistorischer Zeit nicht nur auf den Tennisplatz von Forrest Hills rübergerettet hat.
McPhee: ¸Die Pausen zwischen den Punkten sind lang, verglichen mit den Punkten selbst - kurze, plötzliche Knaller, sporadische Einzelfeuer an einer ruhigen Front. (...) Manche Spieler beschwerten sich nach Begegnungen mit Ashe oder Graebner, sie hätten 'nicht genug Tennis gehabt'. Wo Reformer dem Alten Spiel nachtrauern und meinen, es müsse etwas geschehen, da regen sie an, den ersten Aufschlag ganz abzuschaffen oder den Aufschlag mehrere Fuß hinter die Grundlinie zu verlegen. (...) Doch viele Leute lieben Tennis gerade so, wie Ashe und Graebner es spielen. Es ist das Nonplusultra, mit einem geisterhaften Charme, als schliche sich Joe Louis klammheimlich an Billy Conn heran, um ihn dann mit ein paar dumpfen Schlägen umzuhauen.“
Wer wen beim Tennis umhaut, ist also letztlich keine Frage der Ästhetik. Die Ebenen des Spiels beherrscht der elegante, eiskalte Typ mit dem Panzer. Der Soldat. Der Sieger war also nicht der potentielle Oberstleutnant der Wehrmacht. Der Sieger war jener Leutnant der U.S. Army, der in seinem Kleiderschrank in der Militärakademie West Point immer Tag und Nacht das Licht brennen ließ. Und ein solcher Typ mußte am nächsten Tag einfach auch die U.S.Open gewinnen.